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Süddeutsche Zeitung: „Die Spieler“

Bild © CC0 Creative Commons, Pixabay (Ausschnitt)

Die Süddeutsche Zeitung berichtet aktuell, dass das Fürstentum Liechtenstein Europas Las Vegas werden könnte, mit einer höheren Casino-Dichte als die Stadt in der Wüste Nevadas. Doch viele Bürger wollen nicht, dass ihr Land zum Zockerparadies wird.

Gleich hinter dem Grenzübergang vom österreichischen Feldkirch her steht der graue Klotz mit den hohen Fenstern links an der Straße. „Einen Goldrausch“, mindestens aber einen „goldenen Herbst“ versprechen die Betreiber des Etablissements seinen Besuchern. Als VIPs würden sie sich fühlen, in jedem Fall aber „ganz speziell“. Nachts sind die Fenster des Gebäudes in süffiges Blau oder Rot getaucht, und ganz oben an der Dachkante strahlt ein Leuchtschriftzug weithin sichtbar in das Obere Rheintal: „Casino Schaanwald“.

Auf der Hauptstraße, die Liechtenstein seiner Länge nach durchzieht, sind es von hier aus 20 Kilometer nach Balzers am anderen Ende des alpinen Fürstentums. Dort soll auch eine Spielbank entstehen, wogegen Bürger sich allerdings wehren. In Ruggell rollen die Spielkugeln schon länger, in Triesen demnächst. Für mehrere Glücksspielhäuser sind Konzessionen beantragt, weitere werden gerade geplant. Liechtenstein, jahrzehntelang verschwiegenes Versteck für schmutziges Geld aus der ganzen Welt, entwickelt sich neuerdings zur Spielhölle Europas. In Relation zu den 38 000 Einwohnern des Zwergstaates ist die Casino-Dichte demnächst größer als in Las Vegas, Macau oder Monaco.

Vor allem aus dem benachbarten Deutschland, Österreich und der Schweiz kommen die Zocker. Das Geschäft mit ihnen boomt. Profiteur der Goldgräberstimmung ist neben den Spielbankbetreibern das Land Liechtenstein. Statt der erwarteten drei Millionen spülten die Casinos im vergangenen Jahr zwölf Millionen Schweizer Franken in die Kasse des Fürstentums, umgerechnet etwa elf Millionen Euro. Und das, obwohl die Steuern auf Spieleinsätze weitaus niedriger sind als in den umliegenden Ländern.

Die neue Spielwut könnte dem Image des Fürstentums schaden, befürchten Finanzmarktexperten

Liechtenstein kassiert über die sogenannte Geldspielabgabe 17,5 bis 40 Prozent der Bruttospielerträge. Zum Vergleich: Deutschland zieht 80, die Schweiz 40 bis 80 Prozent des Differenzbetrages zwischen Spieleinsätzen und Gewinnen als Abgabe ein.

Ein lukratives Geschäft also für die Betreiber von Casinos. Vor allem die Schweizer Spielbanken spüren die neue Konkurrenz im kleinen Nachbarland massiv. „Die Erträge in an den Standorten in Bad Ragaz und St. Gallen sind regelrecht eingebrochen“, beklagte Hermann Bürgi, Präsident der Eidgenössischen Spielbankenkommission im Schweizer Boulevardblatt Blick.

Ausgelöst hat den Boom in Liechtenstein ein Tabubruch. 150 Jahre lang war Glücksspiel in dieser Form im katholisch geprägten Fürstentum verboten. 2015 und 2016 lockerten Regierung und Landtag jedoch mit dem Segen des Liechtensteiner Fürstenhauses das Geldspielgesetz. Im August 2017 eröffnete mit dem Casino Admiral im 2300 Einwohner zählenden Ruggell die erste Spielbank. Zwei Monate später folgte jene in der unmittelbar angrenzenden Nachbargemeinde Schaanwald.

Zu den Politikern, die lange für eine liberale Glücksspielpolitik gekämpft haben, gehörte bis zu seinem Ausscheiden 2013 Wirtschaftsminister Martin Meyer. Inzwischen profitiert er selbst davon, als Chef der Immobiliengruppe ITW, die im Spielcasino-Markt kräftig mitmischt. So in Balzers ganz im Süden des Landes, wo sich Widerstand rührt. Bürger haben eine Initiative gegen das Spielbank-Vorhaben gestartet und Klage vor dem Landgericht in der Hauptstadt Vaduz eingereicht. Ihre juristischen Chancen stehen allerdings schlecht, wie ein erster Verhandlungstermin Ende August erwies. Auch außerhalb des Gerichtssaales wird der Kampf nicht zimperlich geführt. Angeblich drohen potenzielle Casino-Betreiber renitenten Bürgern mit Schadenersatzklagen.

Allerdings mehren sich die Stimmen im Fürstentum, denen der Spielrausch allmählich zu heftig wird. „In der Bevölkerung ist die Angst vor einem Klein-Las-Vegas groß“, notierte das Vaterland, die Parteizeitung der mitregierenden Vaterländischen Union (VU). Sie konstatiert „Sorgen und Ängste in der Bevölkerung“ und setzt sich für eine „sinnvolle Eingrenzung“ ein, was die Zahl der Casinos angeht. Die nötige Lizenz zu erhalten ist für Betreiber bislang sehr einfach; nun wird vorsichtig darüber nachgedacht, keine neuen Spielbanken mehr zuzulassen. Bisherige Investoren in Spielbanken dürften aber nicht durch strengere Auflagen oder höhere Abgaben verschreckt werden, so die Regierung.

Die Oppositionspartei Freie Liste (FL) fordert hingegen massive Verschärfungen, wie etwa eine Verdoppelung der Abgabe. Um die Dimension der Zockerei zu verdeutlichen, wählte ihr Landtagsabgeordneter Thomas Lageder vorige Woche einen prägnanten Vergleich: „Zwei Casinos zusammen haben 2018 ungefähr ein Drittel des Gewinnes der Landesbank gemacht.“ Das staatliche Geldhaus ist immerhin die Nummer zwei am bekanntlich nicht kleinen Liechtensteiner Bankenmarkt.

Auch am Finanzplatz wachsen die Befürchtungen, die Spielwut könnte sich negativ auf das Image des Fürstentums auswirken. Mit viel Mühe hat sich Liechtenstein nach vielen Steuerskandalen in den vergangenen Jahren vom internationalen Pranger als Geldwaschanlage und Steueroase weggekämpft. Mit vielen Ländern tauscht das Fürstentum inzwischen Informationen über steuerrelevante Einkünfte ausländischer Anleger aus – vor wenigen Jahren noch undenkbar. Emsig sind die Emissäre von Regierung und Finanzplatz unterwegs, um den skeptischen Rest der Welt davon zu überzeugen, dass Liechtenstein ein sauberer Finanzplatz geworden sei. Ein neues Etikett als Spielhölle ist vor diesem Hintergrund kontraproduktiv, wie Finanzmarktvertreter und Politiker hinter vorgehaltener Hand einräumen.

Offenes Aufbegehren allerdings ist nicht so einfach, schließlich hat Landesfürst Hans-Adam II. seine Untertanen wissen lassen, er halte es für völlig egal, ob Liechtenstein zwei oder 20 Spielcasinos habe. „Die Leute, die spielen wollen, werden spielen – ob nun hier in einem Casino oder irgendwo anders. Ich sehe hier kein riesiges Problem“, sagte er. Umso bemerkenswerter, dass der revolutionärer Umtriebe völlig unverdächtige Landtagspräsident Albert Frick dem Monarchen vor wenigen Tagen öffentlich in die Parade fuhr und öffentlich bekundete, er sei anderer Meinung. Frick warf die Frage auf, die sich viele Liechtensteiner stellen: Dem Land geht es wirtschaftlich exzellent, sein Ruf ist deutlich besser geworden, der Wohlstand ist enorm – braucht es da tatsächlich auch noch all die Zockerei?

Spielbank-Befürworter werfen Kritikern vor, „mit Vehemenz die Moralkeule zu schwingen“. Der Markt werde alles regeln, und im Übrigen könne jeder auch mühelos online zocken oder in Nachbarländern. Warum nicht also auch in Liechtenstein? Suchtexperten beunruhigt allerdings, dass im Fürstentum wegen krankhafter Spielsucht für Casinos gesperrte Menschen leicht an Roulette- oder Kartentische und Spielautomaten kommen. Das Problem an sich ist kein Liechtensteiner Spezifikum. Die Präventionsexpertin Regine Rust aus St. Gallen sagt, das Obere Rheintal sei „für einen Spielsüchtigen die schlimmste Gegend der Welt“.

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