Österreichs Wirtschaftskapitäne, international erfolgreiche Konzern-Gründer, Manager, Aufsichtsräte und Politiker erleben überrascht und ratlos eine fast schon hysterische, mediale und auch politische Vorverurteilungswelle mit bisher in Österreich unüblichen Vorwürfen.
Nicht wenige fragen sich, ob in Österreich nunmehr Wirtschaft fast nur über das Strafrecht erfolgen soll. In den wirtschaftlichen und politischen Kreisen herrscht Verunsicherung, und auch tiefer Frust, über Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsrecht, welche durch anonyme Briefe ohne nachweisliche, inhaltliche Substanz erfolgt.
Die Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Österreich sind im Ansatz bereits erkennbar: in kleinen wirtschaftspolitischen Zirkeln wird ernsthaft über die Verlegung der Konzernzentralen in Nachbarländer diskutiert, das immer deutlicher werdende wirtschaftliche Unverständnis in manchen Medien und auch in manchen Schulen, auch einigen Universitäten, wird nicht ohne Folgen bleiben.
Wirtschaft darf kein Spielball rein strafrechtlicher, noch dazu umstrittener Auslegungen werden.
Dr. Dieter Böhmdorfer, einer der anerkanntesten Juristen unseres Landes und im Aktienrecht anerkannter Fachmann, wurde von uns gebeten, seine Expertise zu den juristischen Belangen zu erstellen.
Dabei taucht die Frage auf: weshalb werden derartige rechtliche Überlegungen nicht bereits im VORFELD – noch VOR rechtlichen Maßnahmen – gestellt? Müssen in Österreich wirklich dutzende Unternehmer und Manager ihre Karriere und wirtschaftliche sowie bürgerliche Existenz unüberlegt eingesetztem Strafrecht aussetzen? WER trägt dazu die Verantwortung, wenn nach langen Ermittlungen lapidar das Verfahren eingestellt wird, weil eine Anklage nicht mit der notwendigen gesetzlichen „Mindestgewissheit“ eines Schuldspruches geführt werden kann?
Bitte lesen Sie hier die spannende Antwort auf die Frage: „Wo, bitte, ist statt dem Zivilrecht das Strafrecht anzuwenden“
Anbei meine Überlegungen in rechtlicher Hinsicht, die ausschließlich auf bis jetzt bekannten medialen Tatsachenberichten und offiziellen justiziellen Äußerungen beruhen. Ich hoffe, dass ich keine Fakten übersehen habe, jedenfalls habe ich mich bemüht, die öffentlich zugänglichen Informationen vollständig zu erfassen. Bei neuen Tatsachenerkenntnissen können sich natürlich auch die hier dargelegten rechtlichen Überlegungen ändern.
I. Die mediale Casino-Debatte:
- Folgt man den medialen Darstellungen, gab es einen „Hintergrund-Deal“ zwischen der Freiheitlichen Partei (FPÖ) und dem Glücksspielkonzern Novomatic AG (NOVOMATIC), demzufolge die FPÖ für die Bestellung eines Vorstandes in der Casinos Austria AG (CASAG) – mit oder ohne Mitwirkung der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) – „Gegenleistungen“ versprach. Zu Gunsten der NOVOMATIC sollten Gesetze geändert und – zum Teil derzeit so noch gar nicht mögliche – Glücksspiellizenzen eingeräumt werden. Dafür sollte wiederum die CASAG den FPÖ-Bezirksrat Mag. Peter Sidlo zum Vorstand der CASAG machen. Medial steht eben diese Bestellung von Mag. Peter Sidlo im Vordergrund der Berichterstattung, auch weil es ein Gutachten einer Personalberatungsunternehmung (ZEHNDER) gibt, das ihm die Qualifikation dafür angeblich abspricht.
- Eine anonyme Sachverhaltsdarstellung, gerichtet an die Zentrale Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption (WKStA), führte zu strafrechtlichen Ermittlungen, u.a. auch zu einer Hausdurchsuchung bei HC Strache, der Sicherstellung und Auswertung seines Handys usw.
- Am 12.11.2019 kam es bei zwei Ex-Finanzministern, nämlich Hartwig Löger und DI Josef Pröll sowie dem Aufsichtsratsvorsitzenden der CASAG, Dr. Walter Rothensteiner, ebenfalls zu Hausdurchsuchungen. Es dauerte nur Stunden, bis die staatsanwaltliche Anordnung der Hausdurchsuchung bei den Medien landete. Am darauffolgenden Tag, dem 13.11.2019, wurde von Armin Wolf in der ZIB 2 der ehemalige Rechnungshofpräsident Dr. Fiedler interviewt und strich dieser hervor, dass Mag. Peter Sidlo angeblich „gar nicht qualifiziert sei“. Dr. Fiedler live: „…. und das ist eine gewisse Novität gegenüber den letzten Jahren. Das führt uns zurück in die 50iger und 60iger Jahre ….“.
In der Folge lag das Schwergewicht der Berichterstattung auf der angeblichen mangelnden Qualifikation des Mag. Peter Sidlo.
Mag. Peter Sidlo war nach seinem Jus-Studium knapp 6 Jahre bei der Finanzmarktaufsicht, danach bei dem börsennotierten Immobilienkonzern conwert Immobilien Invest SE, wo er die Ressource „Kapitalmarkt und Konzernkommunikation“ leitete. Ab 2014 wechselte er in den Vorstand der Investmentgesellschaft SIGMA Investments. Politisch wurde er 2010 als Bezirksrat in Wien Alsergrund angelobt.
II. Die Vorwürfe im Einzelnen:
Aus den medialen Vorwürfen im Zusammenhang mit den kursierenden justiziellen Aktenstücken und sonstigen Unterlagen lässt sich entnehmen, dass es bei den (für „ihn oder einen Dritten“) strafrechtlichen Tatbeständen um Bestechung (§ 307 StGB), Bestechlichkeit (§ 304 StGB), Untreue (§ 153 StGB) und Amtsmissbrauch (§ 302 StGB) geht bzw. diese zu prüfen sind. Dazu im Einzelnen:
- Bestechung (§ 307 StGB): Wer besticht, verspricht oder gewährt einem „Amtsträger“ bzw. einer dritten Person einen Vorteil für ein „Amtsgeschäft“.
Der gewährte Vorteil ist in diesem Fall die Bestellung des Mag. Peter Sidlo zum Vorstand der CASAG. Die Vorteilsgewährung kann vorliegend nur durch den Aufsichtsrat erfolgen, weil nur der Aufsichtsrat eine Person zum Vorstand bestellen kann. Diejenigen, die diesen Vorteil gewähren bzw. an der Gewährung bewusst mitwirken, sollen dafür als Gegenleistung Gesetzesänderungen und Lizenzen bekommen oder zumindest davon gewusst haben.
Wer sind nunmehr die in Verdacht stehenden Täter und wer die Mitwirkenden?
Nach der kolportierten Auffassung der WKStA werden offensichtlich als Täter Mag. Harald Neumann (Vorstand der NOVOMATIC) und Prof. Johann Graf (Alleinaktionär der NOVOMATIC) verdächtigt, weil sie angeblich namens der NOVOMATIC den Deal mit der FPÖ abgeschlossen und demgemäß für die Bestellung von Mag. Peter Sidlo zum Vorstand der CASAG in den Genuss von Gesetzesänderungen und Lizenzen kommen sollen. Nach den Vorstellungen der WKStA haben ferner im Bewusstsein der Existenz dieses Deals der Vorsitzende des Aufsichtsrates Dr. Walter Rothensteiner, dessen dritter Stellvertreter, DI Josef Pröll – und allenfalls weitere Personen – an der Bestechung (Vorteilsgewährung) mitgewirkt, in dem sie den Bestellungsbeschluss im Aufsichtsrat zur Bestellung des Mag. Peter Sidlo herbeiführten. Hartwig Löger (Ex-Finanzminister) und MMag. Thomas Schmid (Ex-Kabinettchef des Ex-Finanzministers) wird vorgeworfen, an der Ausführung dieses Deals beteiligt gewesen zu sein, in wie weit weitere ÖVP-Repräsentanten noch mitwirkten, ist unklar. Diese Mitwirkung, bestand allem Anschein nach darin, dass sie auf die beiden genannten ÖVP-nahen Aufsichtsratsmitglieder (Dr. Rothensteiner und DI Pröll) politischen oder sonstigen Druck ausgeübt hätten. Dies in Kenntnis eines angeblichen oder wirklichen Deals zwischen NOVOMATIC, der FPÖ (und der ÖVP?). Also: Vorstandsbestellung zum Vorteil des Mag. Peter Sidlo – Gesetzesänderung und Lizenzverschaffung für NOVOMATIC (CASAG -Gesellschafterin).
Spiegelbildlich dazu ist der Vorwurf der Bestechlichkeit (§ 304 StGB) zu sehen, dessentwegen die WKStA wegen des grundsätzlich identen Sachverhaltes ermittelt.
- Der Bestechlichkeit (§ 304 StGB) macht sich strafbar, wer als Amtsträger einen Vorteil für sich oder eine dritte Person annimmt bzw. sich versprechen lässt, und dafür im Gegenzug verspricht, bestimmte Amtsgeschäfte pflichtwidrig auszuüben. Deshalb wird gegen den Ex-Staatssekretär im Finanzministerium MMag. DDr. Hubert Fuchs, Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache, Ex-Klubobmann Mag. Johann Gudenus und Mag. Peter Sidlo seitens der WKStA ermittelt. Als Täter in strafrechtlichem Sinn werden dabei MMag. DDr. Hubert Fuchs und HC Strache (weil sie „Amtsträgereigenschaft“ haben) verdächtigt. Ermittelt wird aber auch gegen Mag. Johann Gudenus und Mag. Peter Sidlo als Beteiligte.
2.1. Ist das wirklich so einfach?
Nein, die Tatsache, dass gegen bestimmte Personen ermittelt wird, wird zwar in den Medien manchmal als Grundlage für Vorverurteilung verwendet (mit dem zynisch-floskelhaften Zusatz: „Es gilt die Unschuldsvermutung“), heißt aber noch lange nicht, dass es zu einer Anklage oder gar zu einer Verurteilung kommt und dass diese auch in Rechtskraft erwächst.
2.2. Kritische Anmerkungen kann man in rechtlicher Hinsicht schon jetzt zu diesen Ermittlungsvorgängen wie folgt machen:
- Liegt überhaupt ein „Amtsgeschäft“ vor?
Ohne ein Amtsgeschäft wäre weder der Tatbestand der Bestechung noch jener der Bestechlichkeit verwirklichbar. Bei dem hier gegenständlichen von der WKStA offenkundig angedachten Amtsgeschäft handelt es sich um erst gesetzlich neuzuschaffende Glückspiellizenzen. Ohne neues Gesetz kann man zumindest einen Teil der versprochenen Lizenzen überhaupt nicht vergeben. Das angeblich versprochene Amtsgeschäft existiert daher nicht einmal abstrakt.
- Da die Vorfreude über den politischen Skandal vor allem zu Lasten der FPÖ und der ÖVP medial überwiegt, wurde bisher noch gar nicht diskutiert, inwieweit die Vornahme des Amtsgeschäfts in der Realität überhaupt möglich ist. Sollte diese Prüfung ergeben, dass der mit dem Vorwurf belastete Personenkreis nämlich Fuchs, Strache, Gudenus und andere gar nicht in der Lage sind, die im Raum stehenden gesetzlichen Maßnahmen und Lizenzen zu verschaffen, und zwar nicht einmal theoretisch-abstrakt, gehen die Vorwürfe sowohl der Bestechlichkeit, als auch der Bestechung, als strafrechtliche Tatbestandsvorwürfe ins Leere.
- Zu demselben Ergebnis kommt man, wenn die Versprechung („Deal“), zwar gegeben, aber nur politischer Natur war, also nur eine politische Zusage war, dass sich also die beteiligten Personen generell für die Lockerung des Glücksspielmonopols bemühen würden. Zu eben diesem Ergebnis kommt man, wenn Mag. Peter Sidlo sich schlussendlich als geeignet erweist. Dann hätte er aus seiner Bestellung keinen strafrechtlich relevanten Vorteil gezogen, weil er eine adäquate Gegenleistung erbringt.
- Tatsache ist, dass es derzeit nur eine Konzession für Online-Glücksspiel in Österreich gibt und diese von der CASAG gemeinsam mit den Lotterien (über die Spielplattform win2day) betrieben wird. Derzeit gibt es 15 Spielbanklizenzen in Österreich, nach gegenwärtiger Rechtslage müsste eine 16te durch ein neues Gesetz geschaffen werden. In einem Gesetzgebungsprozess sind bekanntlich mehr Stationen und Personen eingebunden als ein Vizekanzler, ein Finanzminister, ein Kabinettschef usw. Gesetze werden bekanntlich im Nationalrat beschlossen.
- Insgesamt hängt jedenfalls von der Klärung dieser Fragen die mögliche Tatbestandsverwirklichung durch den belasteten Personenkreis ab. Diese hier aufgezeigten Hürden erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
- Untreue (§ 153 StGB):
Die Untreue bedeutet Schädigung einer anderen Person am Vermögen durch den wissentlichen Missbrauch der Rechtsmacht (Verfügungs- bzw. Verpflichtungsmacht).
Dr. Walter Rothensteiner hat – nach der offenkundigen Auffassung der WKStA – seine Befugnisse als Aufsichtsratsvorsitzender der CASAG missbraucht, indem er ohne sachlichen Grund und in wirtschaftlich unvertretbarer Weise die Vorstandsverträge mit Dr. Aleksander Labak und Mag. Dietmar Hoscher mit einer Laufzeit bis zum 31.12.2019 vorzeitig mit Wirksamkeit zum 30.04.2019 einvernehmlich auflöste und die CASAG dadurch am Vermögen schädigte, dass er mit Dr. Labak eine Abfindung in der Form einer Einmalzahlung iHv 571.428,60 EUR vereinbarte. Außerdem verpflichtete er die CASAG zur Bonuszahlung für das gesamte Kalenderjahr 2019 an Dr. Labak (iHv 682.740,28 EUR) und an Mag. Hoscher (in unbekannter Höhe) und zur Bezahlung einer Unfallsversicherung zu Gunsten von Mag. Hoscher. Mag. Hoscher wurde für eine geringwertige Tätigkeit im Zeitraum von 01.05.2019 bis zum 31.12.2019 der Bezug eines Vorstandsmitgliedes vertraglich zugesichert.
DI Josef Pröll und Mag. Harald Neumann hätten zu dieser angeblichen Untreue gemäß § 153 StGB beigetragen, indem sie in der Sitzung des Aufsichtsratspräsidiums in Kenntnis des Deals der Auflösungsvereinbarung mit zumindest bedingten Schädigungsvorsatz zustimmten und Dr. Walter Rothensteiner in seinem Vorgehen bestärkten.
Kritisch ist dazu in rechtlicher Hinsicht anzumerken:
Zu bedenken ist, dass auch kolportiert wurde, dass die Auflösung dieser Dienstverträge angesichts der ebenfalls medial diskutierten Streitigkeiten zwischen den Gesellschaftergruppen der CASAG, insbesondere der tschechischen SAZKA-Gruppe einerseits und der NOVOMATIC andererseits, im Interesse des Unternehmens sein konnte. Diese Personalentscheidung könnte nämlich dem Zweck der Herstellung des Unternehmensfriedens in der CASAG gedient haben. Wesentlich für das Delikt der Untreue ist, dass eine Handlung im Interesse des Unternehmens grundsätzlich nicht den Tatbestand der Untreue verwirklichen kann. Die personalen Entscheidungen können also durchaus auch im Interesse der CASAG-Aktionärsgruppen bzw. der CASAG an sich gewesen sein, weil sie die Wiederherstellung des Unternehmensfriedens zur Folge hätten.
- Amtsmissbrauch (§ 302 StGB):
Hartwig Löger missbrauchte nach der medial verbreiteten Auffassung der WKStA seine Amtsbefugnis, indem er sich aktiv für die Bestellung von Mag. Peter Sidlo einsetzte, den Vertretern der CASAG seine Zustimmung zur Bestellung von Mag. Peter Sidlo signalisierte und schließlich durch seinen Mitarbeiter eine erforderliche Zustimmung zur Bestellung erteilen ließ, sowie es im Zeitraum vom 01.05.2019 bis 03.06.2019 unterließ, Mag. Peter Sidlo die Geschäftsleitung von CASAG zu untersagen. Dabei hat er nach der medial verbreiteten Auffassung der WKStA mit dem Vorsatz gehandelt, den Staat als Konzessionär in seinen Aufsichts- und Kontrollrechten zu schädigen.
Prof. Johann Graf und Mag. Harald Neumann haben laut Medieninformationen Hartwig Löger zum Amtsmissbrauch bestimmt, indem sie ihm von dem Deal zwischen NOVOMATIC und FPÖ in Kenntnis setzten, ihm mitteilten, dass es keinen anderen Kandidaten gibt und ihm aufforderten, Dr. Walter Rothensteiner von der Bestellung von Mag. Peter Sidlo zu überzeugen, was Hartwig Löger auch tat.
Kritisch ist in rechtlicher Hinsicht dazu anzumerken:
In der Diskussion nimmt der Umstand einen breiten Raum ein, dass gemäß § 31b Abs 7 GSpG Geschäftsleiter der CASAG bestimmte Qualifikationen erfüllen müssen. Dazu gehört u.a. eine „Leitungserfahrung“. Diese ist allerdings anzunehmen, wenn der oder die Betroffene eine „zumindest 3-jährige leitende Tätigkeit bei einem Unternehmen vergleichbarer Größe und Geschäftsart nachgewiesen wird“. Diese Gesetzesbestimmung ist rechtlich eine Kann-Bestimmung und wohl auch deshalb schwer zu praktizieren, weil die CASAG der einzige Konzessionär für Spielbanken in Österreich ist. Was ist vergleichbar? Ist diese Bestimmung in dieser Formulierung überhaupt verfassungsgemäß?
Es drängt sich der Vergleich mit der Sachverständigenbestellung durch die Gerichte im Hinblick auf die diesen obliegenden Qualifikation auf. Grundsätzlich können im Strafverfahren auch Personen zu Sachverständigen bestellt werden, wenn ihre Sachkunde vom Gericht positiv beurteilt wird (RS0117726)), obwohl sie nicht zertifiziert sind. Dasselbe gilt im Zivilverfahren (RS0040607). Außerdem ist aus der Sicht des Aufsichtsrates die Einholung eines Gutachtens nur eine Entscheidungshilfe und nicht die Auslagerung einer Entscheidung. Dem Aufsichtsrat muss der erforderliche Spielraum für eine solche Vertrauensentscheidung wohl gelassen werden.
Aus der bisherigen Tätigkeit des Mag. Peter Sidlo ergeben sich klare Argumente dafür, dass er durchaus über eine Leitungserfahrung iSd § 31b Abs 7 GSpG verfügt.
Was die Vorwürfe der strafrechtlichen Ermittlungsbehörden gegen Prof. Graf und Mag. Neumann betrifft (Bestimmung zum Amtsmissbrauch) scheint noch unklar, ob diese den dazu erforderlichen Vorsatz hatten bzw. ob und inwieweit ihre Kommunikation mit dem Finanzminister die Grenze der Zulässigkeit überschritt. Amtsmissbrauch und Untreue sind Machtmissbrauchsdelikte. Vor diesem Hintergrund ist Folgendes zu beachten:
Insoweit in den Medien kolportiert wird, dass die Bestellung des Mag. Peter Sidlo zum Vorstandsmitglied der CASAG trotz seiner angeblichen oder wirklichen Unfähigkeit für diese Tätigkeit, Inhalt eines Untreuetatbestandes, begangen vom Aufsichtsratspräsidenten und weiteren Mitgliedern, sein könnte, ist dafür eine präzise Begründung nicht bekannt. Ganz abgesehen davon, dass diese Untüchtigkeit in der Zeit seiner bisherigen Tätigkeit sich wohl hätte erweisen müssen. Dafür gibt es keine Anhaltspunkte. Grundsätzlich ist die Bestellung einer Person ohne die erforderliche formelle Qualifikation noch nicht generell ausreichend dafür, eine Untreuehandlung vorzunehmen. So wie es zum Beispiel kein Amtsmissbrauch ist, wenn eine Person als Sachverständiger vom Gericht für ein Gebiet bestellt wird, für das er nicht zertifiziert ist. Das wird bisher jedenfalls nicht als Amtsmissbrauch (das ist grundsätzlich das Schwesterndelikt zur Untreue) angesehen, sondern kann sogar verfahrensrechtlich zulässig sein (siehe oben).
- Zur Zulässigkeit, Sinnhaftigkeit und der Praxis von Gesprächen außerhalb der formellen Organe einer Aktiengesellschaft
Es ist durchaus üblich und logisch, dass Gesellschafter in Unternehmungen bemüht sind, Vertrauensleute in Aufsichtsrat und Vorstand zu etablieren. Die Konsensfindung ist das Eine, die formelle Organbestellung das Andere. Die Hauptversammlung bestellt die Aufsichtsratsmitglieder, der Aufsichtsrat bestellt die Vorstände. Aufsichtsräte und Vorstände sind weisungsfrei. Dessen ungeachtet finden natürlich zur Konsensfindung und Interessenwahrung Gespräche außerhalb der formellen Organe statt. So spricht der Finanzminister (oder seine Vertrauensleute) in staatsnahen Unternehmen mit den anderen Gesellschaftern (außerhalb der Hauptversammlung der Gesellschaft). In gleicher Weise konferiert er mit den Vorständen und den Aufsichtsräten, äußert Wünsche, Bedenken und bringt sich argumentativ ein. Alles andere wäre unüblich und könnte sogar unternehmensschädlich sein. Änderungen der Eigentümervertreter nach politischen Wahlen führen deshalb auch oft zu Änderungen der Organfunktionen. Mit Dreiviertelmehrheit kann jeder Aufsichtsrat von der Hauptversammlung ohne Grund abberufen werden. Die Tätigkeit der Vorstände ist mit maximal fünf Jahren begrenzt, auch sie können durch Beschluss des Aufsichtsrates und Beendigung des Dienstvertrages – einvernehmlich oder nicht – freiwillig oder gezwungenermaßen das Unternehmen verlassen (müssen). Die Beendigung des Dienstvertrages ist getrennt von der Abberufung des Vorstandes zu sehen. Für beides ist der Aufsichtsrat zuständig.
Im Übrigen ist nicht bekannt, welche aktienrechtlichen Kontrollmechanismen die CASAG eingesetzt hat, um die Vorstandsbestellung von Mag. Peter Sidlo rechtlich zu überprüfen. Wie auch immer: Wenn diese Prüfung vor allem vor Gericht aktienrechtlich als unbedenklich abgeschlossen werden sollte oder abgeschlossen ist, ist dies ein massives Hindernis für eine allfällige Verurteilung der beteiligten Personen, auch wenn zivilrechtliche Rechtsverletzungen festgestellt werden sollten. Im Übrigen ist aber darauf zu achten, dass die höchstgerichtliche Judikatur (11 Os 39/05b, 14 Os 96/05g) besteht, wonach wegen bloßer Verstöße gegen zivilrechtliche Verpflichtungen eine Bestrafung nicht vorgesehen ist. Ein zivilrechtlicher Verstoß wurde aber seitens des Unternehmens und der Medien nicht mit überzeugender Begründung behauptet. Ungeachtet aller anderen Überlegungen hätte jedenfalls eine aktienrechtliche Untersuchung vorweg oder eine gerichtliche Klarstellung der offenen Fragen, der Sache mehr gedient als eine Schlammschlacht über die Medien.
- Ist es politisch unmoralisch bzw. strafbar, nach politischen Wahlen eine Veränderung in den Organen der staatsnahen Unternehmungen durchzuführen?
6.1. Am 18.12.2017 wurde die damals neue Bundesregierung (Kurz, Strache etc.) vom Bundespräsidenten angelobt. Wie weit der Vorstand der CASAG 2018 zur Zufriedenheit des Finanzministers als mittelbarer Eigentümervertreter an der 1/3-Beteiligung der Republik Österreich arbeitete, ist unbekannt und wird derzeit nicht diskutiert. Jedenfalls kam es im Jahr 2019 zu einer Beendigung des Vorstandsmandates mit Mag. Dieter Hoscher (SPÖ) und zur Bestellung von Mag. Peter Sidlo (FPÖ) an dessen Stelle.
Die Frage ist in Österreich noch nicht abschließend diskutiert. Wenn dies als prinzipiell unmoralisch angesehen bzw sogar als strafbar wird, müsste man gute Gründe finden, die Art und Weise aufrecht zu erhalten, mit der der Verfassungsgerichtshof, der Verwaltungsgerichtshof und der ORF organrechtlich bestellt werden. Die Besetzung dieser Posten liegen naturgemäß politische Deals zugrunde, wonach beide Parteien einem Dritten (nämlich dem Kandidaten bzw Bestellten) ein Vorteil gewähren, um im Gegenzug die Bestellung „eigener Kandidaten“ sicherzustellen (was als Amtsgeschäft gilt).
6.2. Die Bestellungen sehen nämlich so aus:
6.2.1. Verfassungsgerichtshof
Gemäß Artikel 147 (2) B-VG werden der Präsident, der Vizepräsident, sechs weitere Mitglieder und drei Ersatzmitglieder vom Bundespräsidenten auf Vorschlag der Bundesregierung ernannt; diese Mitglieder und Ersatzmitglieder sind aus dem Kreis der Richter, Verwaltungsbeamten und Professoren eines rechtswissenschaftlichen Faches an einer Universität zu entnehmen. Die übrigen sechs Mitglieder und drei Ersatzmitglieder ernennt der Bundespräsident auf Grund von Vorschlägen, die für drei Mitglieder und zwei Ersatzmitglieder der Nationalrat und für drei Mitglieder und ein Ersatzmitglied der Bundesrat erstattet.
6.2.2. Verwaltungsgerichtshof
Gemäß Artikel 134 (4) B-VG werden der Präsident, der Vizepräsident und die sonstigen Mitglieder des Verwaltungsgerichtshofes vom Bundespräsidenten auf Vorschlag der Bundesregierung ernannt; diese erstattet ihre Vorschläge, soweit es sich nicht um die Stelle des Präsidenten oder des Vizepräsidenten handelt, auf Grund von Dreiervorschlägen der Vollversammlung des Verwaltungsgerichtshofes oder eines aus ihrer Mitte zu wählenden Ausschusses, der aus dem Präsidenten, dem Vizepräsidenten und mindestens fünf sonstigen Mitgliedern des Verwaltungsgerichtshofes zu bestehen hat. Die Mitglieder des Verwaltungsgerichtshofes müssen das Studium der Rechtswissenschaften oder die rechts- und staatswissenschaftlichen Studien abgeschlossen haben und über eine zehnjährige juristische Berufserfahrung verfügen. Wenigstens der vierte Teil soll aus Berufsstellungen in den Ländern, womöglich aus dem Verwaltungsdienst der Länder, entnommen werden.
6.2.3. ORF
Gemäß § 20 (1) ORF-Gesetz werden die Mitglieder des Stiftungsrates nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen bestellt:
- Sechs Mitglieder, die von der Bundesregierung unter Berücksichtigung des Stärkeverhältnisses der politischen Parteien im Nationalrat unter Bedachtnahme auf deren Vorschläge bestellt werden, wobei jede im Hauptausschuss des Nationalrates vertretene Partei durch mindestens ein Mitglied im Stiftungsrat vertreten sein muss;
- neun Mitglieder bestellen die Länder, wobei jedem Land das Recht auf Bestellung eines Mitgliedes zukommt;
- neun Mitglieder bestellt die Bundesregierung;
- sechs Mitglieder bestellt der Publikumsrat;
- fünf Mitglieder werden unter Anwendung des Arbeitsverfassungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1974, vom Zentralbetriebsrat bestellt.
Bei der Bestellung von Mitgliedern nach Z 1 bis 4 ist darauf zu achten, dass diese 1. die persönliche und fachliche Eignung durch eine entsprechende Vorbildung oder einschlägige Berufserfahrung in den vom Stiftungsrat zu besorgenden Angelegenheiten aufweisen und 2. über Kenntnisse des österreichischen und internationalen Medienmarktes verfügen oder sich auf Grund ihrer bisherigen Tätigkeit im Bereich der Wirtschaft, Wissenschaft, Kunst oder Bildung hohes Ansehen erworben haben.