Ermittlungen gegen eine mutmaßlich kriminelle Glücksspiel-Gruppierung: Die Hintermänner wollten Beamte besachwalten lassen, zeigten sich aus taktischen Gründen selbst an und sollen gar Gerichtsgutachten bestellt haben.
Wer sich mit Männern anlegt, die wiederholt das Gesetz gebrochen haben, sollte sich auf harte Bandagen einstellen.
Der Finanzpolizist Christian W. könnte ein Buch darüber schreiben. In seinen 16 Jahren als Gruppenleiter bei der Finanzpolizei in Oberösterreich war W. regelmäßig mit der berüchtigten „Kajot“-Bande aus Wels konfrontiert, gegen die bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ein aufwändiges Ermittlungsverfahren läuft (profil berichtete).
Die Korruptionsjäger halten die Bande für eine kriminelle Organisation, die Hintermänner sollen an über 50 Standorten illegales Automaten-Glücksspiel angeboten und damit Millionengewinne gescheffelt haben. Das Spiel lief über mehrere Jahrzehnte weitgehend unbehelligt – bis vor drei Jahren das Bundeskriminalamt mit 140 Beamten anrückte und dem Spuk mit 13 Hausdurchsuchungen ein vorläufiges Ende bereitete.
Glücksspiel-Bande narrte Behörden
Wenn nur ein Teil dessen stimmt, was die Ermittler der Gruppe zur Last legen, muss man neidlos anerkennen: Dreistigkeit siegt tatsächlich – zumindest für einige Zeit. Neue, bislang unveröffentlichte Akten zeigen, mit welchen Methoden die Gruppe die Behörden auf Distanz hielt.
Denn „Kajot“ soll ein einfaches, aber effektives Prinzip verfolgt haben: Wer sich nicht kaufen ließ, wurde mit aller Kraft bekämpft. Finanzbeamte wie W., Strafverfolger und sogar Richter bissen sich an der Truppe die Zähne aus. Die Bezeichnung „Kajot“ leitet sich vom gleichlautenden Markennamen der Spielautomaten ab, mit denen die Gruppe operierte.
Harte Bandagen gegen Beamte
Es gehörte zum daily business des Finanzpolizisten W., dass er Anzeigen gegen die konzessionslosen Lokale der „Kajot“-Gruppe schrieb. Er war bei Razzien dabei, bei denen seine Kollegen von der Polizei die einarmigen Banditen einkassierten. W. war es gewohnt, dass die Truppe jeden einzelnen Bescheid bis zur letzten Instanz bekämpfte. Die Verfahren zogen sich oft über Jahre.
Das war frustrierend. Umso mehr, als die Gerichte den Hintermännern vereinzelt wegen Formalfehlern recht gaben. Diese Nadelstiche waren aber nichts gegen den Antrag, der am 19. Mai 2021 beim Bezirksgericht Grieskirchen einlangte und der profil vorliegt. Der Haus- und Hof-Anwalt der „Kajot“-Gruppe stellte den Antrag, den Beamten W. zu besachwalten.
Die wiederholten Festnahmen der „Kajot“-Mitarbeiter, die Razzien in den Lokalen und schließlich der Abtransport der Automaten seien illegal und vom Glücksspielgesetz nicht gedeckt gewesen, argumentierte der Anwalt.
„Er möchte mir eins Auswischen“
Seine Schlussfolgerung: „Es liegt daher der begründete Verdacht nahe, dass der betreffende Gruppenleiter die Tragweite seiner Handlungen nicht mehr in seinen Grundzügen verstehen kann. (…) Da davon auszugehen ist, dass der Gruppenleiter (…) vollends über die rechtliche Lage informiert sein muss, liegt nur mehr der Verdacht einer psychischen Erkrankung nahe, welche wiederum die Voraussetzung zur Bestellung eines Erwachsenenvertreters begründet.“ In der Folge spekuliert der Anwalt lang und breit darüber, welche „Störung“ bei W. vorliegen könnte.
Für W. hatte die Anzeige unangenehme Folgen: Er wurde verdächtigt, seine Amtsgewalt missbraucht zu haben und musste in einem Verhörzimmer des Bundeskriminalamts in Wien als Beschuldigter aussagen.
„Ich habe den Verdacht, dass er mir eins Auswischen möchte“,
sagte W. dort über den Anzeiger aus der „Kajot“-Gruppe. Der Finanzpolizist konterte mit einer Anzeige wegen Verleumdung.
Seit dem Vorjahr ist W., Anfang 60, im Ruhestand. Zwar wurden die Ermittlungen gegen ihn eingestellt, der juristische Angriff hat seine Wirkung trotzdem nicht verfehlt: Bei der Finanzpolizei wurden Ressourcen gebunden, die für Ermittlungsarbeit fehlten – und für junge Beamte war der Fall eine eindringliche Warnung: Wer sich mit der „Kajot“-Gruppe anlegt, bekommt ernsthafte Probleme.
Selbstanzeigen beim Finanzamt offenbaren Millionengewinne
Juristische Winkelzüge dürften ein Spezialgebiet der Gruppierung gewesen sein. profil liegen mehrere Selbstanzeigen von Unternehmen vor, die der Bande zugerechnet werden. Darin legen sie dem Finanzamt für Gebühren, Verkehrsteuern und Glücksspiel auf den Cent genau ihre monatlichen Erlöse aus den Automatensalons offen.
Denn auch für illegales Glücksspiel sind Abgaben in der Höhe von 30 Prozent der Erträge zu bezahlen. Mit den Selbstanzeigen verhinderten die Hintermänner, dass ein Finanzstrafverfahren gegen sie eingeleitet werden konnte. Das hätte im Extremfall lange Haftstrafen zur Folge haben können.
Der einzige Ansatzpunkt der Finanzpolizei waren daher über Jahre Verwaltungsstrafen – eine sehr milde Sanktion für einen Gruppierung, die mutmaßlich ebenso professionell wie kriminell war. Die Geldbußen wurden durch Mitglieder der Gruppe im Gefängnis abgesessen oder von den ausländischen Betreiberfirmen nie bezahlt. Und die konfiszierten Automaten hat „Kajot“ einfach durch neue ersetzt. So wurden die Behörden zum Narren gehalten.
In einer Selbstanzeige werden für den Zeitraum von März bis Dezember 2018 in Summe 5,4 Millionen Euro an Spielerträgen beim Finanzamt deklariert. Und das nur für eine von mehreren „Kajot“-Firmen. Das Geschäft brummte also.
Allerdings brachte die Gruppe diese Selbstanzeigen nur unter Vorbehalt ein. Ihr windiger Rechtsanwalt – die Standesvertretung hat ihm inzwischen die Zulassung entzogen – vertrat die Ansicht, dass die Glücksspielautomaten in Wahrheit Geschicklichkeits-Spiele wären, ähnlich wie Flipperautomaten. Um viel Geld kaufte die Gruppe Gutachten ein, die diesen Standpunkt untermauerten. Die Selbstanzeigen waren nur eine Absicherung für den Fall, dass die Finanz die Automaten als Glücksspiele bewertet.
Und das war im Einzelfall gar nicht so leicht.
Gutachter gekauft?
Zwar ging die Finanzpolizei in den vergangenen zehn Jahren verstärkt gegen die Lokale von „Kajot“ vor, doch die Gruppierung wusste sich zu wehren.
In einem Verfahren vor dem Wiener Verwaltungsgericht im Jahr 2019 lautete die Spielaufstellung wie so oft: Finanzpolizei gegen „Kajot“. Die Betreiber hatten ein entscheidendes Ass im Ärmel, wie die WKStA inzwischen vermutet.
Sie sollen den Gutachter bestochen haben, der vom Richter mit der Klärung der Frage beauftragt wurde, ob es sich denn nun um Geschicklichkeits- oder Glücksspiele handelt.
Mails erhärten den Verdacht
Eine Auswertung der Mailpostfächer der Führungsriege von „Kajot“ belegt, dass der mutmaßliche Kopf der Gruppierung vor dem Verfahren mit dem Gutachter im Mailkontakt stand. Der Sachverständige schickte sein Gutachten an Hinterleute der Gruppierung und schrieb: „Bitte genau kontrollieren, ob alle Passagen gewollt sind.“
Mehr noch: In der Folge soll der Gutachter von Unternehmen der „Kajot“-Gruppe Geld für Vorträge abgerechnet haben. Im Ermittlungsakt findet sich ein Dankesschreiben an den Gutachter: „Ihr Vortrag war nicht nur wissenswert, sondern sehr erfrischend und aus dem Leben gesprochen. Die Mitarbeiter waren begeistert und wir freuen uns bereits jetzt auf einen weiteren Vortrag von ihnen.“
Erfundene Vorträge
Ein früherer Angestellter des Unternehmens sagte vor den Ermittlern aus, dass er diese Schreiben nur auf Anordnung der Führungsetage erstellt und abgelegt habe, die Vorträge hätten „in Wahrheit“ aber nie stattgefunden.
Vor Gericht kam der Gutachter zum Befund, dass die Automaten einen relevanten Geschicklichkeitsanteil aufweisen würden – ganz im Unterschied zu jenem Gutachten, das die WKStA in der Zwischen für das Ermittlungsverfahren beauftragte, das zum Schluss kommt: Es sind eindeutig Glücksspielautomaten.
Für den Gutachter hat der Fall jetzt ein unangenehmes Nachspiel. Die Ermittler verdächtigen ihn in einem Zwischenbericht zum Mega-Verfahren gegen „Kajot“, er habe „ein Gutachten entgegen seiner fachlichen Überzeugung, sohin ein falsches Gutachten, zu einem Spieleautomaten der KAJOT-Gruppe erstattet“ und „für die Erstattung eines unrichtigen Befundes und Gutachtens Vorteile für sich gefordert, angenommen, und sich versprechen lassen“. In seiner Einvernahme hat er einen Zusammenhang zwischen den Zahlungen von 3600 Euro und dem Inhalt des Gutachtens bestritten. Er gab zwar zu, dass er vor der Erstellung des Gutachtens mit „Kajot“-Leuten in Kontakt war, das hätte aber keinen Einfluss auf sein Werturteil gehabt.
Wie geht es im Verfahren gegen die Glücksspiel-Gruppierung weiter?
Die Ermittlungen gegen „Kajot“ ziehen sich nun schon seit 2021. Im Akt tauchen auch bekannte Namen auf. Etwa der Welser Bürgermeister Andreas Rabl, der mit dem Hauptbeschuldigten bekannt ist und vor Jahren für Firmen der Gruppe als Anwalt tätig war. Gegen Rabl wird allerdings nicht ermittelt, er hat gegenüber profil stets bestritten, etwas von illegalem Glücksspiel gewusst zu haben. Ein anderer Promi aus dem Akt ist Gert Schmidt, dem eine Nähe zum Glücksspielkonzern Novomatic nachgesagt wird. Schmidt ist aber nicht Gegenstand von Ermittlungen, im Gegenteil: Er trat gegenüber den Behörden als Hinweisgeber über die mutmaßlich kriminellen Aktivitäten der „Kajot“-Gruppierung auf.
Warum aber dauert das Verfahren solange? Beim Zugriff an den verschiedenen Unternehmenssitzen der Gruppierung in Oberösterreich konnten Kriminalbeamte auch den Server ausfindig machen. „Daten sind schneller sichergestellt, als ausgewertet“, sagt ein Sprecher der WKStA zu profil. Durch die Buchhaltungsdaten ergaben sich für die Ermittler neue Anhaltspunkte. Erst kürzlich ließ die WKStA insgesamt 80 Konten im Umfeld von „Kajot“ öffnen, sagt die WKStA. Es geht auch um die Frage, ob die Gruppierung ihre Glücksspielerlöse in Sicherheit brachte, bevor die Unternehmen in Konkurs schlitterten. Die WKStA verdächtigt die Gruppierung, neben vielen anderen Delikten, der betrügerischen Krida.
Für die Beschuldigten gilt die Unschuldsvermutung. Der Anwalt des Hauptverdächtigen, den Zeugen im Ermittlungsverfahren als „Phantom“ beschrieben, ließ eine profil-Anfrage unbeantwortet.
Er lebt auf freiem Fuß im Hausruckviertel. Die Hobbys des Pensionisten mit Poly-Abschluss: Kunst sammeln und Quad fahren.
Quelle:
- Profil / Kriminalfall „Phantom“ aus Wels: Glücksspiel-Bande soll Gutachter geschmiert haben, profil.at, 06.12.2024