Köln – Am Wochenende sind wieder Millionen von Euro bei Sportwetten über den Tresen gegangen. Wer schießt das nächste Tor? Welche Mannschaft bekommt die nächste Gelbe Karte? Aus dem Hobby „mal einen Tippschein zu machen“, kann eine gefährliche Spielsucht werden.
Schulden, soziale Isolation und Kriminalität können dann die Folgen sein. Die Kölner Fachstelle für Glücksspielsucht, ein Ableger der Drogenhilfe Köln, hilft Spielsüchtigen. Aktuell sind über 200 Kölner wegen ihrer Krankheit in Therapie. Express.de sprach mit dem Suchttherapeuten Dr. Wolfgang Kursawe (62), der seit 25 Jahren bei der Drogenhilfe arbeitet und die Fachstelle leitet.
Kölner Suchttherapeut Wolfgang Kursawe: „Sportwetten ist Glücksspiel“
Ewiger Spitzenreiter sind die Automatensüchtigen, dahinter kommen die Sportwetter. Fußball sei die Sportart, auf die am häufigsten getippt wird. „Sportwetten ist Glücksspiel, ganz klar“, sagt Wolfgang Kursawe.
Viele Spieler denken, dass sie durch die angebliche Kompetenz, sich etwa im Fußball gut auszukennen, qualifiziert sind, die Ergebnisse richtig tippen zu können. „Das ist Quatsch“, sagt der erfahrene Therapeut.
Sportwetten: Mit jedem Spiel steigt der Anteil des Zufalls
Er erklärt: „Es gibt mehrere wissenschaftliche Studien, die belegen, dass Hausfrauen und vermeintlich gut informierte Wettspieler nach mehreren Wetten dieselbe Anzahl von richtigen Tipps angeben. Mit jeder Wette wird der Anteil des Zufalls immer größer.“ Energie Cottbus könne halt auch mal gegen die Bayern gewinnen.
Sportwetten: Keine Regulierungen für Wettanbieter
Die einzige legale Sportwette sei Oddset, die von Westlotto angeboten wird. „Alle anderen Anbieter haben in Deutschland keine Lizenz, sitzen in anderen Ländern wie Malta oder Gibraltar“, sagt Dr. Kursawe. Das habe zur Folge, dass es keine wasserdichte Regulierung gibt.
Staat hat 2018 über 383 Millionen Euro an Sportwettsteuern eingenommen
Darin sieht er auch das große Problem: Laut dem Bundesministerium für Finanzen hat der Staat 2018 über 383 Millionen Euro an Sportwettsteuern eingenommen. Die gesetzliche Grauzone erlaube etwa, dass ein Wettbüro neben dem anderen aufmacht.
Warum gibt es in manchen Stadtteilen viele Wettbüros?
Die Kommunen haben wegen der Gesetzeslage wenig Einfluss. Das sei auch städteplanerisch ein Problem, sagt der Experte. So komme es dazu, dass es etwa in manchen Gegenden, zum Beispiel in Mülheim oder am Eigelstein, viele Wettbüros gibt. Dafür in Marienburg oder Rodenkirchen kaum welche. Dass viele Wettbüros in sozial schwachen Stadtteilen aufmachen, sei auch auf das Profil der Spieler zurückzuführen.
BzgA definiert Risikogruppe: Männlich, unter 25 und bildungsfern
Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat eine Risikogruppe definiert, die von Spielsucht gefährdet ist: Männlich, unter 25 Jahre, bildungsfern und mit Migrationshintergrund.
Nur Gewinner teilen ihre Scheine im Internet
Kursawe: „Wenn ein Spieler gewinnt, denkt er, es hat geklappt, weil er besonders schlau ist. Wenn er verliert, sind andere, etwa der Schiri, schuld.“ In sozialen Medien würden auch immer Gewinner ihre Erfolge teilen, was ein verzerrtes Bild darstelle. „Wer verliert, postet nichts.“
Der Experte weiter: „In Wettbüros am Ebertplatz sind die Spieler rein optisch zu 90 Prozent nicht deutsch. Das liegt auch daran, dass es weltweite Wettangebote gibt und viele zum Einstieg auf Spiele aus dem jeweiligen Herkunftsland tippen.“ Und: „Wettbüros sind eine Art soziale Treffpunkte für die Menschen. Da helfen sie sich auch schon mal mit Behördenangelegenheiten.“
Dazu käme, dass Spieler über ihre Handys wetten können. „Da gibt es keine Einsatz- oder Zeitlimits, manche tippen durchgehend das ganze Wochenende und verzocken ihre Miete“, weiß Kursawe.
Organisierte Kriminalität in der Wettbranche
Neben den bekannten Wettanbietern gibt es laut Dr. Kursawe auch die organisierte Kriminalität, die Wetten anbietet. „Es gibt Banden, die Wetten annehmen. Die zahlen dann auch schon mal 20.000 Euro aus, wenn jemand gewinnt. Wenn jemand aber verliert und seine Schulden nicht zahlen kann, werden die sehr unangenehm“.
Kriminielle Banden schneiden Mann Finger ab, um Schulden einzutreiben
So habe es Fälle gegeben, bei denen Familien das Hochzeitsgold in Geld umtauschen mussten, um die Schulden zu zahlen. Oder es habe Buttersäure-Angriffe gegeben, um sie einzutreiben. In einem Fall soll einem Mann aus Ost-Europa ein Finger abgeschnitten worden sein. Kursawe sagt: „Die machen dich aber nicht tot. Die wollen ja ihr Geld.“
Quelle:
- Sportwetten in Köln: Kriminelle Banden schneiden Spieler Finger ab, der Schulden hat, www.express.de, 28.10.2019