Online-Glücksspiel boomte während der Pandemie wie nie zuvor. Vor allem junge Männer tappten in die Falle-und landeten oft bei illegalen Casino-Anbietern. Die Regierung wollte diese Seiten blockieren. Doch daraus wurde nichts.
Casinos und Automatensalons gesperrt, Roulette-Tische und Einarmige Banditen unerreichbar: Michael fühlte sich mit einer historischen Chance beschenkt. Er würde die Pandemie nützen, um mit dem Zocken aufzuhören. Wie oft hatte sich der 31-jährige Wiener Geld ausgeborgt, bloß weil er sich irgendwie „schlecht gefühlt“ hatte, wie oft hatte er sich, nachdem „alles weg war, trotzdem besser gefühlt als vorher“. Oder auch nicht. Manchmal habe er „wie ein Baby geweint“, weil am Ende eben doch die Bank gewann. Immer.
Seit 15 Jahren kämpft Michael, der seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will, mit einem problematischen Spielverhalten. Damit sollte Schluss sein. Drei Monate hielt er im Corona-Lockdown durch. Dann tippte er „Online Casino“ in die Suchmaschine Google und landete bei zwei Betreibern, die keine Konzession in Österreich haben. Der-inzwischen arbeitslose-Taxifahrer verspielte nicht nur sein eigenes Geld, sondern auch das seiner Freundin und insgesamt drei Kredite, die das Paar gemeinsam aufgenommen hatte. Jetzt ist er völlig pleite. Und hofft, einen Teil des verlorenen Geldes über eine Spielerklage von den Betreibern zurückfordern zu können.
Zu den wenigen Lustbarkeiten, die in der Pandemie boomten, zählt das Online-Glücksspiel. 2013 konnte das digitale Segment gerade einmal 14 Prozent des Glücksspielmarktes für sich beanspruchen, 2020, im ersten Corona-Jahr, war der Anteil auf 40 Prozent gewachsen. Das Wachstum geht freilich nicht nur auf das Konto der Pandemie. Schon in den Jahren davor fiel in Einrichtungen und Vereinen, die sich um Spielsüchtige kümmern, auf, dass ein Teil der Klientel auf Online-Angebote umgestiegen war. Doch nur ein einziger Betreiber hat eine Lizenz für Glücksspiele im Internet: win2day, Tochter der teilstaatlichen Casinos Austria Gruppe. Alle anderen Betreiber werden vom Finanzministerium als „illegal“ eingestuft, dort können Spieler Tausende Euro pro Woche verspielen-und niemand schaut hin.
Eigentlich wollte die ÖVP-Grünen-Regierung diese Anbieter mittels IP-Blocking für österreichische Internetuser sperren. Doch aus diesem Vorhaben wird in dieser Legislaturperiode wohl nichts. Wie profil in Hintergrundgesprächen erfuhr, ist eine Verabschiedung des Glücksspielpakets nicht in Sicht. Die Vorstellungen zwischen ÖVP und Grünen gehen beim Spielerschutz so weit auseinander, dass seit über einem halben Jahr nicht einmal mehr verhandelt wurde.
Dabei hält ein vom Finanzministerium beauftragter Bericht zur „Versorgung Spielsüchtiger während der Covid-19-Pandemie“ im Sommer 2021 fest, „dass sich die Pandemie auf vulnerable Bevölkerungsgruppen wie Menschen mit Suchterkrankungen inklusive Glücksspielsucht besonders stark auswirkt“. Spielstätten und Wettlokale hatten wegen Corona monatelang geschlossen, Sportveranstaltungen wurden gestrichen. 2020 brachen die Spiel- und Wetteinsätze der terrestrischen Anbieter um 23,7 Prozent ein. Im Gegenzug legte das Online-Glücksspiel zu (2020: plus 7,4 Prozent, 2021 sogar plus 19 Prozent).Während die Spielleidenschaft in der Bevölkerung also zurückging, machten die pandemiebedingte Einsamkeit, der Wegfall täglicher Routinen oder prekäre wirtschaftliche Verhältnisse ausgerechnet jene Personen, die bereits zuvor ein problematisches Verhalten an den Tag gelegt hatten, anfällig für das Online-Glücksspiel und lösten bei „einigen Spielerinnen und Spielern in Behandlung unmittelbar (suizidale) Krisen aus“, so die Studienautoren.
Im Internet halten Casinos und Wettlokale rund um die Uhr offen, die Anbieter lockten mit Slogans wie „Stay safe-bet at home“ und zusätzlichen, riskanten Angeboten. So wurden Spielern etwa videoanimierte Fußballspiele gezeigt, auf die sie wetten konnten. Die Grazer Anwältin Julia Eckhart will nun gegen die Anbieter vorgehen:
„Wenn die Entscheidung über Gewinn und Verlust ausschließlich oder überwiegend vom Zufall abhängt, handelt es sich nicht um Wetten-sondern um Glücksspiel.“
Bei Wetten auf reale Fußballspiele können Kenner ihr Wissen über die Mannschaften einpreisen. Bei virtuellen Matches entscheidet ausschließlich der Zufall.
Die Psychiaterin Gabriele Fischer leitet die Drogenambulanz am Wiener AKH. Auch spielsüchtige Patienten werden hier behandelt.
„Pathologische Spielsucht erfordert-so wie etwa auch die Depression-eine gute, psychiatrische Diagnostik“,
sagt sie. Nicht selten liege der Spielsucht eine biopolare Störung, ein Aufmerksamkeitsdefizit oder eine Hyperaktivitätsstörung (ADHS) zugrunde. Betroffene werden irgendwann arbeitslos, erleben familiäre Brüche, haben tagsüber wenig zu tun und meist auch wenig Geld.
„Weil sie sich einsam und verloren fühlen, docken sie oft bei Stellen an, wo man zwar mit ihnen redet, ihnen aber nicht helfen kann“,
so Fischer. Auch Kinder-und Jugendpsychiater müssten in die Bekämpfung von Spielsucht stärker eingebunden werden. Gerade Jüngere kippen am Handy oder zu Hause am Laptop in die Abhängigkeit, kiffen, stopfen Essen in sich hinein und hängen stundenlang im Online-Glücksspiel fest, gieren nach dem nächsten Dopaminkick, ohne dass ihr Umfeld den Ernst der Lage mitkriegt.
Auch das Wetten berge Gefahren.
„Zwar gibt es hier nicht diesen unmittelbaren Kick wie beim Black Jack oder am Automaten, weil man auf das Ergebnis immer ein bisschen warten muss“,
so Fischer. Aber auch das Wetten fördere eine „magische Denkstruktur“. Bei Menschen mit einer Vulnerabilität für Sucht verlagern sich die Laster oft nur. Die einen spielen Roulette, die anderen Black Jack, und wenn das Casino zusperrt, weicht man ins Internet aus.
„Genommen wird, was verfügbar ist“,
sagt Fischer. Im Fall von Erwachsenen sei in gravierenden Fällen eine „Erwachsenenschutzvertretung für finanzielle Angelegenheiten“ zu erwägen, um Menschen vor sich selbst zu schützen.
Die Spielsucht zieht sich durch alle Schichten. Allerdings wird die Klientel mit problematischem Verhalten jünger. Auch das zeigte sich in der Pandemie. So registriert die Leiterin der Spielsuchthilfe Wien, Izabela Horodecki, mit Sorge, dass 2021 mehr als die Hälfte (55 Prozent) der erstmalig Behandelten vor dem 18. Lebensjahr zu spielen begonnen hatten. Seit Jahren plädiere man, „dass der Jugendschutz ernster genommen“ werden solle. Oft werde das Alter bei Online-Glücksspielen und Sportwetten erst bei einer allfälligen Auszahlung von Gewinnen kontrolliert, dabei soll die Alterskontrolle „das Spielen an sich verhindern, sowohl Verluste als auch Gewinne“, so Horodecki. Schließlich beginnt eine sogenannte Spielerkarriere häufig mit einem Gewinn, „der gerade bei Jugendlichen gar nicht so groß sein muss, um zu beeindrucken“. Seit 2020 geben fast neun von zehn behandelten und beratenen Personen, die erstmals bei der Spielsuchthilfe vorstellig werden, als Spielort das Internet an. „Die meisten Personen, die uns aufgrund ihres Glücksspielverhaltens kontaktieren, spielen bereits krankhaft“, sagt Horodecki.
Es gibt aber auch Spieler, die zugesperrte Casinos und Wettlokale als Entlastung empfanden. Robert, 50, war seit Jugendtagen Stammgast in Spielsalons und an Roulettetischen. Eigentlich habe er sein Leben lang nie etwas anderes gemacht als zu zocken. Die höchsten Einsätze waren nicht hoch genug. Das Glücksspiel war seine größte Leidenschaft, sein Ersatz, für alles, was im Leben fehlte und oft rettende Ablenkung in dunklen Zeiten:
„Ich habe es geliebt, ich liebe es immer noch, aber ich mache es nicht mehr.“
2015, als die Automaten in Wien verboten wurde, war Schluss mit den Spielsalons, 2020, als die Pandemie anbrach, hieß es für das Roulette: „Rien ne va plus.“ Und nun? Robert sagt, er habe seit „zwei Jahren nicht mehr gespielt“, er fühle sich „total stark“ und wolle „einfach nur leben“. Der Wiener zieht sein Handy aus der Jackentasche. Es hat große, klobige Tasten. Ein Smartphone versage er sich zu seinem „eigenen Schutz“. Online-Zocker tun ihm leid:
„Beim Roulette ist in der Nacht wenigstens ein paar Stunden Pause, aber die haben ihr Casino ständig bei sich.“
Das rasante Wachstum des digitalen Glücksspielmarktes beobachten nicht nur Suchtexpertinnen: Die Brutto-Spiel-und Wetterträge spiegeln in etwa die Verluste der Spieler wider. 2019 lagen sie laut einer Erhebung des Branchenradars österreichweit bei 1,95 Milliarden Euro. 2020 drückte die Corona-Krise die Erträge auf 1,66 Milliarden Euro (minus 14,8 Prozent).Besonders hart traf es die Casinos; sie büßten die Hälfte ihres Geschäfts ein, das Automatenglücksspiel ging um 30 Prozent zurück, Sportwetten minus 13 Prozent. 2021 sah die Glücksspielbranche etwas Licht am Ende des Tunnels, vor allem das Lotterieglücksspiel erholte sich. Zu den großen Profiteuren der pandemiebedingten Verschiebungen aber zählte einmal mehr das Online-Gaming (plus 19 Prozent).In Summe lagen die gesamten Erträge der Branche aber immer noch um 250 Millionen Euro unter dem Niveau von 2019.
Spieler, die besonders hohe Summen verzocken, werden in der Branche „Highroller“ genannt. VIP-Betreuer sorgen dafür, dass sie weiterspielen.
Andreas Kreutzer, Geschäftsführer von Branchenradar, hält den Anteil von problematischen Spielern zwar für „überschätzt“:
„Auf die Bevölkerung gerechnet verlieren 0,1 Prozent mehr als 800 Euro im Monat am Glücksspielautomaten.“
Diese detaillierten Zahlen gibt es allerdings nur für das stationäre Automatenglücksspiel, nicht für das Online-Glücksspiel, wo es „natürlich weniger Sicherheitsvorkehrungen“ gibt, wie Kreutzer einräumt.
Spielsüchtige legten profil Belege vor, dass sie mehrere Tausend Euro pro Tag bei Online-Casinos verspielen konnten. Niemand sagt Stopp. Im Gegenteil: Mit Lockangeboten halten „VIP Betreuer“ die problematischen Spieler bei der Stange. Es sind Nachrichten wie diese, die Spieler aus Österreich bekommen, wenn es ihnen gelingt, kurz aus der Suchtspirale auszusteigen: „I would love to add a 300$ bonus to your casino account.“
Ein Spieler wurde von seinem Online-Casino gar kostenlos zu Fußballspielen der Champions League inklusive Flug und Hotel eingeladen. Davor hatte er eine sechsstellige Summe verloren.
39 Online-Casinos ohne Lizenz machen laut Finanzministerium in Österreich relevante Umsätze. Obwohl sie als illegal deklariert werden, müssen sie Glücksspielabgaben zahlen, immerhin 40 Prozent der Einnahmen. Andernfalls droht ein Steuerstrafverfahren. 2020 belief sich die von den Betreibern selbst berechnete Steuerschuld auf über 90 Millionen Euro. Daraus ergibt sich, dass Spieler aus Österreich jährlich mindestens 225 Millionen Euro bei Online-Casinos ohne Konzession verlieren. In der Vergangenheit hielten die freiwillig abgeführten Abgaben einer Prüfung durch das Finanzamt selten stand, die Folge waren Millionennachzahlungen.
Bedrohlicher für die Betreiber sind aber die österreichischen Gerichte. Wer bei einem nicht konzessionierten Online-Casino Verluste erlitten hat, kann diese zurückfordern-und bekommt in den meisten Fällen Recht. Es laufen Hunderte Verfahren, weil sich Prozessfinanzierer und Anwälte auf dieses lukrative Geschäft spezialisiert haben und weil die Gerichte zugunsten der Spieler entscheiden-sie halten die Verträge für nichtig, wenn die Betreiber keine Konzession haben. Das Online-Casino von bet-at-home hat inzwischen aufgegeben. Betreiber wie Interwetten, die international aufgestellt sind, blieben am Markt und lobbyieren im Hintergrund dafür, dass die Republik weitere Online-Lizenzen vergibt. Auch die Sportverbände werden dafür eingespannt. Vor einigen Monaten richteten sie einen Protestbrief an Vizekanzler und Sportminister Werner Kogler (Grüne).Inhalt: Das geplante IP-Blocking würde die wichtigsten Sponsoringpartner des Sports-die Wett-und Glücksspielbranche-in ihrer Existenz gefährden.
Sie können-dank des türkis-grünen Verhandlungspatts in Sachen Glücksspiel-unbesorgt sein. Die Profiteure sitzen in Malta und Gibraltar und freuen sich indes über satte Gewinne. Auch ohne Konzession.